KD Wolff und Mille Petrozza haben sich um deutsche Kultur verdient gemacht. Der ältere von beiden ist ein Gewächs der 68er-Revolte, der jüngere ein Kind der 80er. Wolff gründete den Verlag Roter Stern und gab unter anderem die kritische Gesamtausgabe der Schriften Hölderlins heraus. Petrozza ist Gründer der wichtigsten deutschen Thrash-Metal-Band, die dem Ruhrpott entstammt und Anschluss fand an eine Szene international bedeutender Bands wie Metallica oder Slayer.
Beide haben nun ihre Biographien vorgelegt. Beide haben sich dafür Hilfe geholt. Dem Alt-68er half ein Schweizer Kapitalmarktspezialist beim finden der richtigen Worte. Mille wurde von dem erfahrenen Rolling Stone- und Spex-Musikjournalisten Torsten Gross betreut. Beide Protagonisten haben unzweifelhaft Emanzipatorisches bewirkt. Dank des Verlags Roter Stern wurde Hölderlin der reaktionären Interpretation der deutschen Germanistik entrissen und der subversive, gar revolutionäre Impuls seiner Dichtung freigelegt. Auch das 1974 erschienene „Räuberbuch“, speziell für linke Lehrer, klärte mit kritischen Texten über deutsche Ideologie und Germanistik auf. Und KD Wolffs Verlag brachte Klaus Theweleits Mammutwerk „Männerphantasien“ heraus, eine antipatriarchale und antisexistische Textcollage, die der Frage nach der exorbitanten Gewalt der Freikorps nachgeht und die Antwort in männlichen Ängsten und zurückgestauten Trieben lokalisiert. Mille Petrozza radikalisierte und überschritt mit seiner Formation namens Kreator, welche „Lärm der Arbeiterklasse“ (Petrozza über Thrash Metal) zu Gehör bringt, den tendenziell rockistisch-misogynen Heavy Metal und sorgte mit anderen zusammen dafür, dass Thrash Metal nicht wie in Schweden oder Norwegen in Form mancher Black- und Death-Metal-Szenen ins Irrational-Nazimäßige abdriftet, sondern tendenziell links und klar antifaschistisch blieb.
KD Wolffs und Petrozzas Biographien sind Darstellungen eines Wegs nach oben. Mille leuchtet klugerweise nur die ersten Jahre aus, KD Wolff quält den Leser mit seinem Erfolg und der Erzählung, wie sein 80. Geburtstag gefeiert wurde: der Bruder spielt Cello, jemand von der FAZ hält eine Rede, „dazu wurde Wein von den Rebhängen der Stadt Frankfurt gereicht“. Hier erscheint der „Hans im Glück“ lediglich als Prahlhans. Mille dagegen gelingt es, das Rumpelstielzchenhafte abzulegen, er zerreißt sich vor Wut eben nicht. Außerdem mag er Zigarettenqualm und den Geruch von Bier nicht. Hätte man nicht erwartet. KD Wolff präsentiert eine bieder Aufstiegsgeschichte. Mille eine eigenwillige Biographie einer speziellen Zeit. Ist „Your Heaven, my Hell. Wie Heavy Metal mich gerettet hat“ Teil der modischen Klassismusliteratur? Petrozzas erste langjährige Freundin ist Fleischfachverkäuferin, ein langjähriges Bandmitglied, den Bassisten Rob, verschlägt es nach dem Rauswurf aus der Band zurück an den Hochofen. Der Kreator-Frontmann verzichtet allerdings darauf, den Ruhrpott und seine Herkunftsfamilie als prolliges Zerfallsmilieu zu schildern, um vor dem Hintergrund dieses Klischees pseudokritisch den eigenen Werdegang zu verklären.
Beide Lebenswege streiften die Gefahr. Sehr nahe am Abgrund standen die Protagonisten, die jedoch rechtzeitig einen anderen Weg einschlugen. Im Ruhrpott der 80er waren die Klippen: Rockergewalt, Heroin, Selbstmord aus Verzweiflung; in der 70er Jahre-Biographie des KD Wolff stellte die größte Gefahr der linke Terrorismus dar. Wolff hatte seinen Verlag mit zwei Gründungsmitgliedern der Revolutionären Zellen aufgebaut. Seine diesbezüglichen Ausführungen zeugen weder von menschlicher Größe noch werden sie der historischen Forschung als Quellen neue Erkenntnisse offerieren. Über seine ehemaligen Genossen, die tot sind oder noch im Knast sitzen, schreibt er wie über entfernte Verwandte oder den Kassierer des Stammsupermarkts. „Seltsam“ fand er einen von ihnen schon damals. Dieses recht ominöse und unspezifische Urteil könnte allerdings auch auf Hölderlin zutreffen. Petrozzas Blick ist da ein anderer. Wenn er sich an Leute erinnert, die auf der Strecke blieben, scheint Trauer auf.
In beiden Biographien geht es um Anerkennungsverhältnisse. Bei Mille ganz explizit: Zuerst galt es die Aufmerksamkeit der extravaganten und etwas älteren Schweizer Band Celtic Frost auf sich zu ziehen, später dann: Amerika! Natürlich lockte die viel größere und Thrash Metal Szene im Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Mit den Großen der Szene aufzutreten und zu touren ist Herzenswunsch des Kindes einer DDR-Republik-Geflüchteten und eines türkischen Gastarbeiters, die sich im Auffanglager kennen und lieben gelernt haben. KD Wolffs Perspektive gilt dem Großbürgertum. Dort sitzt das Geld, das ein Verlag braucht. Günstige Ehen und Netzwerkerei gehören dazu – der Leser erfährt von Lichtenstein-Connection und transatlantischer Lobbyarbeit. Der ehemalige Rebell aus Nazifamilie verbrüdert sich auch mit dem Hölderlin-Fan Helmut Kohl. Traudl Herrhausen, der Gattin des von der RAF ermordeten Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen, legte er seinen 1985 verfassten offenen Brief an die RAF vor, der vollkommen richtig die Ermordung eines einfachen GIs, um an seine ID-Karte zu kommen, kritisierte. Doch diese RAF-Kritik im Geiste des alten SDS-Internationalismus, der in Black Panther Solidaritätskomitees Deserteure unterstützte und subversiv in die Armee einwirkte, über 10 Jahre später instrumentell zu benutzen, um Geld für Verlagsprojekte zu aquirieren, kann man mindestens geschäftstüchtig nennen.
Kreator verdanken ihren Welterfolg ebenfalls der Geschäftstüchtigkeit, nämlich jener des Noise-Labelbetreibers Karl Walterbach, der als ehemaliger RAF-Sympathisant und Punk gewieft zur richtigen Zeit das einschlägigen Thrash-Metal-Label gründete und die Berufsschülergruppe, die sich der bürgerlichen Welt und vorgesehenen Berufswegen verweigerte, unter Vertrag nahm. Er machte Kreator groß. Obwohl Walterbach offenbar ein schmieriger und egozentrischer Typ war, vergisst dies der 1969 in Altessen geborene Petrozza in seiner Biographie an keiner Stelle. Reflektiert KD Wolff die Bedingungen seines Erfolgs in ähnlicher Weise? Finden sich Überlegungen zu den sozialen und ideologischen Bedingungen des Aufstiegs eines relevanten Teils einer Generation, die doch mal als Rebellen gegen das Establishment angetreten waren? An keiner Stelle. KD Wolffs Biographie zeigt, dass gefeierte 68er alles können, nur nicht den Materialismus auf sich selbst anwenden. Mille dahingegen schafft das, indem er unter der Hand eigenes Glück, Eigensinn und Zufall auf Markttendenzen, Jugendmoden und kapitalistische Verwertungsdynamiken zu beziehen weiß.
KD Wolff. Bin ich nicht ein Hans im Glück? Studentenrevolte. Hölderlin. Kafka, Vittorio Klostermann Verlag 2025
Mille Petrozza. Your Heaven, my Hell. Wie Heavy Metal mich gerettet hat, ullstein extra 2025