Staatsräsonjournalismus à la ZEIT

Passend vor der am 27.9. stattfindenden Großdemonstration gegen Kriegsverbrechen und Vertreibung in Gaza, zu der auch die Partei Die Linke nach einigen Windungen und Wendungen aufgerufen hat, findet sich in der aktuellen ZEIT, dem Organ des reflektierten Staatsräsonbewusstseins, ein Kommentar, der die üblichen Antisemitismusverdächtigungen präsentiert. Gleich unter dem redaktionell platzierten Eröffnungsbild, einem verloren wirkenden Davidstern am Kettchen, findet sich die Behauptung, dass Antisemitismus „heute auch wieder ein linkes“ Phänomen sei. Was dann als „Phänomene“ herangezogen werden, hat es in sich. Zitieren wir:

Dies: In Berlin muss ein israelischer Starkoch darum kämpfen, ein Restaurant eröffnen zu können, es gelingt aufgrund antisemitischer Proteste erst nach mehreren Absagen.

Tatsächlich, sollte der israelische Starkoch lediglich aufgrund seines Passes oder gar, weil er Jude ist, attackiert worden sein, stellt dies zweifelsfrei Antisemitismus dar. Doch liest man den verlinkten Artikel, der ein Interview mit dem Starkoch darstellt, kann man feststellen, dass das Restaurant offensichtlich deswegen in den Fokus propalästinensischer Proteste geraten ist, weil der Co-Geschäftsführer Saher Segal anderthalb Monate als Sprecher für die mehr als umstrittene, weil die Hungersnot in Gaza moderierende und mittragende Gaza Humanitarian Foundation fungierte. Hier von einem „antisemitischen Protest“ zu sprechen, gehorcht der Logik des Antisemitismus-Monitoring in Deutschland, wie beispielsweise von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) verkörpert: Antisemitismus, scharfe Kritik an Israel, propalästinensischer Aktivismus werden zusammengerührt. Im Gespräch mit dem Chefkoch ist dann von Schmierereien an einem Restaurant die Rede, doch dies bezieht sich nicht auf Berlin, sondern auf New York.

Weiter im Text, der ein Kommentar von Martin Machowecz, ist, seines Zeichens stellvertretender Chefredakteur der ZEIT, er kommt aus Meißen in Sachsen und besuchte die Deutsche Journalistenschule, wo er viel gelernt hat.

In dem kleinen mecklenburgischen Städtchen Klütz wird der jüdische Publizist Michel Friedman von einer Lesung ausgeladen – Medienberichten zufolge auch mit der Begründung, man könne die Sicherheit der Veranstaltung nicht garantieren.

Die Gründe der Ausladung, Stand 14:12 Uhr am 25.9., bestanden entweder in einer Furcht vor rechtsradikalen Protesten in einer AfD-starken Gegend, hat also mit einem „linken Antisemitismus“ wenig zu tun, oder in der reichlich moralisch aufgeladenen und anachronistischen Empörung einer maßgeblichen Mitarbeiterin im Stadtkulturbusiness, die Michel Friedman seine Sexeskapaden mit Koks und Sexarbeiterinnen nicht nachsehen wollte. Linker Antisemitismus? Wohl eher nicht… Antisemitismus? Möglicherweise. Aus der historischen Forschung ist schließlich bekannt, dass es im Arsenal der antisemitischen Erregung immer auch die Projektion sexueller Unmoral auf „den Juden“ gab. 

Weiter im Text:

Linke Konzerthäuser, die sich als israelfreundlich verstehen – wie das Conne Island in Leipzig oder das About Blank in Berlin –, müssen um ihre Existenz fürchten, weil antiisraelische Boykottaufrufe gezielt an Künstler und Konzertveranstalter adressiert werden.

Nun ist es recht putzig, die beiden Orte als linke „israelfreundliche“ Konzerthäuser zu bezeichnen. Im About Blank haben Menschen, die eine Kufiya tragen, Hausverbot; das Conne Island war und ist Veranstaltungsort der militaristischsten Israelunterstützer aus dem Hardcore-Milieu der „bahamas“. Nicht umsonst hielt der verstorbene Rechtspublizist Thomas Maul, der aus der Linken und dem „bahamas“-Milieu kommt, dort eine leidenschaftliche und breiter rezipierte Rede, wonach die AfD die einzig akzeptable Partei in Deutschland sei, weil sie sich gegen den… nun ja… linken und migrantischen Antisemitismus am konsequentesten stellen würde. Die Geschichte linker Orte und Konzertveranstalter kennt eine Vielzahl von Boykottaufrufen, wegen aller möglichen Dinge: sexistischer Vorfälle, Rassismus, unkorrektem Verhalten und so weiter. Dass Orte, die sich klar auf jener Seite des Israel-Palästina-Konflikts positionieren, der nun von der UN-Kommission ein Genozid attestiert wird, Leute provoziert, die es mit Linkssein und Menschenrechten ernst meinen, wen sollte das wundern?

Doch weiter im Text:

Überall sieht man jetzt wieder Palästinensertücher als Zeichen der Solidarität mit den Opfern von Gaza. Aber Juden berichten, dass sie sich nicht einmal mehr in Vierteln, in denen das früher normal für sie war, mit Kippa auf die Straße trauen.

 Letzterer Satz ist traurig, denn das Gefühl existiert. Ob der vermeintliche Antisemitismus der Linken dazu beiträgt, dass das Sicherheitsgefühl nachlässt, kann mit guten Gründen bezweifelt werden.

Der erste Satz ist merkwürdig. Will der Kommentator signalisieren, dass das Tragen eines solchen Tuchs bereits eine antisemitische Drohung darstellt? Und kann er sich vorstellen, dass in Neukölln gelegentlich Menschen aus Israel und Juden und Jüdinnen mit oder ohne Israelbezug mit einer Kufiya zu sehen sind? Ist das für den aus Meißen stammenden Kommentatoren vorstellbar?

Wer ist das eigentlich, der diese Sätze gedankenlos, aber hoch interessegeleitet zusammenkompiliert? Einer seiner letzten ZEIT-Aufsätze ist decouvrierend. Er widmete sich den Autos der Politiker. Titel: Der Rücksitz ist ihr Safe Space. Darin kritisiert er die Deutsche Umwelthilfe, die wiederum die viel zu großen und teuren Politikerkarossen kritisiert hatte.

Darin schrieb er:

Ich bin als Journalist viele Jahre in der Provinz gewesen, ich habe Politikberichterstattung in mehreren Bundesländern gemacht, schon als sehr junger Reporter habe ich mich für ein Genre begeistert, das man „Politiker in ihren Dienstwagen interviewen“ nennen könnte. Ich bin der festen Überzeugung, dass man nirgendwo besser beobachten kann, wie ein Politiker WIRKLICH ist. In seiner Limousine ist ein Politiker zu Hause. Als sehr junger Mensch fuhr ich bei Georg Milbradt (CDU) mit, damals Ministerpräsident von Sachsen, in seinem schweren, mächtigen VW Phaeton (VW hatte eine Phase, in der bauten sie in einer Dresdner Manufaktur riesige Limousinen, diese Phase ist vorbei). Ich war wahnsinnig beeindruckt, wie viel er arbeitete in diesem Wagen. Akten, Akten, Akten stundenlang. Ich saß später im BMW von Michael Kretschmer (CDU), auch Sachsen, und im BMW von Bodo Ramelow (Linke), Thüringen. Im BMW von Rainer Haseloff (Sachsen-Anhalt) reiste ich ebenfalls. Ich bin bestimmt auch bei Manuela Schwesig (SPD, Mecklenburg-Vorpommern) mitgefahren, erinnere mich aber nicht, in welchem Modell.

So spricht ein Vertreter der 4. Gewalt. Immer auf dem Rücksitz der Macht, fasziniert, einverstanden, verständnisvoll. So geht Staatsräsonjournalismus.